Früher hat der Glücksknirps alles neugierig probiert und gegessen.
Aber jetzt? Kein Bissen ohne Animationsprogramm.
Die Vielfalt der Nahrungsmittel, die Eingang ins Kind finden, ist auf ein Minimum gesunken.
Was ist passiert? Was hilft?
 
 

Reden und pausenloses Predigen?
Sanktionen und Zwang?
Bitten & Betteln?
Löffel, die als Flugzeug getarnt im staunenden Kindermund landen?
Die  Geschichten über hungernde Kinder oder über Regen und Sonnenschein?
Ein Löffelchen für Oooma, Oooopa und die Maaamma?

 
Nein. Hilft alles nix. Schadet aber.
Was wirklich hilft, ist Verständnis. Und dazu braucht es Wissen zur Entwicklung.
Dann kann ich mein Kind dort abholen, wo es steht.
Dann haben Ängste, das Kind könne krank werden oder gar freiwillig verhungern,
sich ein Leben lang einseitig ernähren, wir hätten am Familientisch „strenger“ sein sollen … keinen Raum.
 
 
Essen soll lustvoll sein, frei von Angst und Druck.
 
Kein Kind verhungert freiwillig.
Wenn das Angebot vorhanden ist und Essen nicht zum Machtkampf wird, Kinder einbezogen werden und nicht den Gemüseeintopf in das Schüsselchen geklatscht bekommen, gewinnt früher oder später die Neugier und der Körper. Unser Körper ist nämlich schlau, über komplexe Systeme findet er sehr präzise die Nahrungsmittel, die ihm gut tun, die er braucht.
Ausnahme: Wir verwirren ihn mit industriellen Nahrungsmitteln. Die wohl weniger LEBENSmittel, als SUCHTmittel sind. Die nicht unser körperliches Wohlbefinden, sondern die Kassen der Nahrungsmittelindustrie nähren.
 
Und manchmal sind diese Systeme unseres Körpers so schlau programmiert, dass wir sie aufs Erste vielleicht nicht ohne Weiteres durchschauen können.
Die Nahrungsmittel-Neophobie, also die Angst, neue Nahrungsmittel zu probieren, ist ein solches – oft verkanntes – Überlebenssystem.
 
Die Phase der Neophobie ist an sich eine schlaue Einrichtung der Mutter Natur. Sie setzt genau zu dem Zeitpunkt an, wenn Kinder mobiler und selbstständiger werden. Und schützt kleine Welten-Entdecker, die schon mal alleine aus der Höhle tapsen können, davor wahllos giftiges Grünzeugs, Beeren und Pilzen zu naschen. Ein Tool zur Erhaltung unseres Genpools sozusagen.
Und auch noch an unseren heutigen Esstischen gelten für die meisten unserer Kinder die gleichen Überlebensregeln:
 
  • Iss nur was du kennst.
  • Iss nur sehr vorsichtig und wenig, wenn du etwas Neues probieren musst.
  • Iss eher das, was deine Bezugspersonen auch mögen. Und schau ganz genau, ob sie nicht nur so tun.
  • Iss nichts ein zweites Mal, das beim ersten Mal schon nicht so toll war. (Sogenannte Sauce-Béarnaise-Syndrom nach Martin Seligman, dem Pionier der Positiven Psychologie)
  • Iss Reifes (süß wie Schokolade) und Nahrhaftes (fett wie Pommes) und bleibe bei Verdächtigem (Gemüse) standhaft kritisch.
  •  

Neophobie betrifft 50 bis 75 % aller Kinder zwischen zwei und sechs Jahren.

Ist zwischen 4 und 6 Monaten am geringsten, ab dem 18. Monat steigend.

Die maximale Skepsis wird in der Regel im späten Kleinkind- und Kindergartenalter erreicht.

Steigenden Experimentierfreude ist etwa zwischen 8 und 12 Jahren zu erwarten.

 
 
Besorgte und verunsicherte Eltern sind gut beraten sich professionelle (pädagogische, psychologische, medizinische) Begleitung zu suchen. Neben einer fachlichen Abklärung liegt dabei das Ziel auch im Nehmen von Druck und Sorge, welche ursächlich für Folgeprobleme sein können.
 
 
 
 
Weiterführende Literatur:

Dovey  T. M., Staples P. A., Gibson E. L ., Halford, J. C. G. (2008): Food neophobia and ‘picky/fussy’ eating in children: A review. In: Appetite Vol. 50, n° 2-3. S. 181-193. Verfügbar unter: www.sciencedirect.com  (Stand 08.08.2020)

Renz-Polster, H. (2015): Kinder verstehen. Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt. 6. Auflage. München: Kösel-Verlag.

 

Meine Suppe ess‘ ich nicht

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